Märchen im Hospiz
Geschichten können in der Trauerarbeit begleitend und unterstützend eingesetzt werden denn sie berichten ganz selbstverständlich über Tod und Trauer, Verlust und Enttäuschung. Ihrer emotionalen Wirkung kann sich der Zuhörende eben so wenig entziehen wie ihrer Kraft, die auf der Seelenebene wirkt. Einen Sterbenden zu begleiten oder sein Fortgehen zu verarbeiten, ist eine seelische Herausforderung, so groß, dass Worte es nicht fassen können.
Sind Märchen im Prozess der Trauer passend?
Meiner Meinung nach ja. Denn sie sprechen die Sprache der Seele. Märchen haben Symbol Bilder, nehmen die Seele ernst und erzählen von den Herausforderungen des Herzens und wie man sie besteht ohne Schaden an seiner Seele zu nehmen. Es ist die Seele, die eine geheimnisvolle Verbindung zwischen Tod, Trauer und Märchen herstellt.
Das Märchen vermag ohne eigentliche Worte viel unausgesprochenes und unaussprechbares zu erklären. Es spricht in Bildern, die sich nicht mit Worten darstellen lassen aber doch unser Herz bewegen. Es ist die Metasprache der Märchensymbolik. Die Sprache des Bewusstseins sind Worte. Märchen sprechen immer in Bildern. Es ist die Sprache des Unbewussten.
Märchen beschäftigen sich mit den »unlösbaren Aufgaben« des Lebens, so verwundert es nicht, dass Tod und Trauer in ihnen direkt oder indirekt eine entscheidende Rolle spielen. Die über Jahrhunderte gereiften Märchen sprechen die Bildsprache unserer kollektiven Seele und bringen zum Ausdruck, was uns auf dem Herzen liegt und in der Seele brennt, doch oft nicht in Worte gefasst werden kann.
Märchen spenden Trost und geben Halt, sie geben das Gefühl, dass man in seinem Schmerz erkannt und verstanden wird. Sie folgen einer universellen Ordnung und zeigen Wege, die Menschen seit Urzeiten gegangen sind. Märchen heilen Herz und Seele weil sie das Unaussprechliche erfahrbar und kommunizierbar zu machen. Themen und Personal der Märchen geben vielfältige Anknüpfungspunkte für Gespräche.
Märchen in der Trauerbegleitung
Der Tod ordnet die Welt neu, durch ihn wird alles anders. Einen geliebten, nahe stehenden Menschen zu verlieren fällt uns unsagbar schwer, diese Person zu vermissen noch viel mehr. Das Loslassen ist sehr oft mit Schmerz und Trauer verbunden und kann uns in Lebenskrisen führen. Viele Menschen müssen zu früh gehen, andere zu spät. Im Leben gibt es für alles eine begrenzte Zeit. Während der Zeit des Zuhörens lässt man die Vergangenheit ruhen. Nicht im Sinne des Vergessens, sondern des loslassens ganz ohne Anstrengung . Keine angestrebten Erwartungen an die Zukunft oder die Gegenwart lenken ab, sondern der Zuhörer ist in diesem Augenblick ganz bei der Sache :ein Satz, ein inneres Bild ,ein Klang: es fesselt ihn nichts anderes. Alles in allem ist Loslassen ein Prozess, der zum Leben gehört. Das Bewusstsein über die Endlichkeit unseres eigenen Lebens ist oft der beste Impuls dafür, sein Leben neu auszurichten.
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar
„ Hast du Angst vor dem Tod „, fragte der kleine Prinz die Rose.
Darauf antwortete sie:
„ Aber nein. Ich habe doch geliebt,
ich habe geblüht und meine Kräfte eingesetzt, so viel ich konnte. Und Liebe, tausendfach verschenkt, kehrt wieder zurück zu dem, der sie gegeben hat.
So will ich warten auf das neue Leben und ohne Angst und verzagen verblühen.”
Antoine de Saint-Exupéry
Menschen gehen – Geschichten bleiben
Die Erinnerung an das Wesentliche ist letztendlich das, was von uns bleibt. All diese unsichtbaren Dinge, die uns berührt haben. Sie sind es, die in unseren Herzen Spuren hinterlassen. Letztendlich ist diese Erinnerung bedeutender als alle materiellen Dinge. Sie hinterläßt in unserem emotionalen Gedächtnis die Erinnerung an einen anderen Menschen. Das ist letztendlich das, was in uns weiterlebt und diesen Menschen lebendig bleiben läßt: Der Einfluss eines Menschen, der uns berührt hat und auf dem eigenen Lebensweg Spuren hinterließ. Wie er uns und unsere Sicht auf das Leben prägte und veränderte werden wir niemals vergessen. Die Erinnerung ist ein Fenster, durch das wir immer wieder sehen können. Was man tief in seinem Herzen besitzt, kann man selbst nicht durch den Tod verlieren.
Trauer bringt Wurzeln in der Tiefe hervor.
Freude lässt die Äste in die Höhe wachsen..
Freude ist wie ein Baum der sich dem Himmel entgegenstreckt
während Trauer die Wurzeln in das Erdinnere hineinwachsen läßt.
Beides wird benötigt: denn je höher ein Baum wächst, desto tiefer verwurzelt er sich zugleich in der der Erde.
Vom Wert der heiteren Momente in Zeiten der Trauer
Mit Heiterkeit und Humor können auch in Zeiten von Trauer und Krisen Spannungen entladen werden. Manchmal können damit auch Konflikte entschärft werden und neue Kräfte freigesetzt werden. Im besten Fall finden neue Handlungsstrategien ihren Weg. Innerhalb der Trauerthematik dürfen – meines Erachtens nach – neben berührenden Märchen auch heitere Geschichten erzählt werden, so dass mit der Heiterkeit und einem einfühlsamen Humor die Ängste und Unsicherheiten hinsichtlich einer Verlustsituation in eine größere emotionale Vielfalt übergehen können. Heitere Geschichten sind für alle diejenigen interessant, die sich mit dem Thema Trauer einmal weniger schwer auseinandersetzen wollen. Und die Rückmeldungen der Trauergruppen bestätigten mir, das auch die Geschichten mit Humor und Leichtigkeit ihre Daseinsberechtigung haben. Es braucht dazu natürlich Feingefühl und Gespür, für die richtige Auswahl im richtigen Augenblick. Auch hier hat alles seine Zeit.