Stille Zeit des Jahres

Ich bin manchmal müde, so zu tun, als wäre ich stets verfügbar, leistungsfähig oder glücklich.
Ich bin müde, immer weiterzumachen, egal, wie es um mich steht.
Ich muss die Dinge auch verarbeiten und mich selbst immer wieder daran erinnern, es anderen Menschen nicht übel zu nehmen wenn sie unachtsam und verletzend sind.
Ich bin müde, zu erleben, wie Menschen ihr Potential vergeuden oder schlimmer noch missbrauchen.
Ich bin müde, immer wieder für Selbstverständlichkeiten zu kämpfen.
Am meisten stimmt mich müde, dass so wenige lachen und viel zu viel geredet wird für das Wohl aller. In diesen Debatten ist kein Raum mehr für Nähe, Mitgefühl oder Verständnis füreinander und schon gar nicht für Freude und Leichtigkeit.
Woher sollen wir die Kraft nehmen das Leben zu bestehen
Albrecht Dürer ca. 1500
wenn uns nur die Angst beherrscht.
Das Leben ist doch ein Geschenk und so mag es auch behandelt sein: wertschätzend, achtsam, respektvoll, vertrauensvoll. Jeder Mensch lebt sein Leben so gut er es vermag und so wie er es für richtig hält.

Mir schmerzt mein Kopf von all dem Reden, argumentieren und diskutieren.
Mir schmerzt mein Herz von all den Verletzungen zwischen den Menschen und meine Seele ist traurig weil sie all den Schmerz, die Ängste und die Einsamkeit der Menschen spürt.
Und auch meine Seele gerade erstarrt im Gefängnis der Vorschriften und Zwänge. Meine Seele braucht Freiheit um leben zu können und Begegnungen um sich entfalten zu können.
Vor allem braucht sie Nähe, Freundschaft, Familie, Verständnis, Mitgefühlt und Liebe.
Ich bin müde. Meine Seele ist müde, mein Körper ist erschöpft und mein Herz ist voller Traurigkeit.
Darum ziehe ich mich in die Stille zurück und lausche dem Wind in den Bäumen.
In der Stille der Natur kann ich mich besinnen und innehalten um durchzuatmen und in das Leben zu vertrauen.
Ich vertraue mich jetzt einfach der Natur an und suche
dort all die Antworten.
Überwintern
Der Winter ist die Zeit des Rückzugs von der Welt. Winter bedeutet, knappe Ressourcen maximal auszunutzen. Winter heißt schonlungslose Effizienz und Sichtbarwerdung des Wesentlichen. Doch genau dabei findet Verwandlung statt.
Im Winter ist die Natur nicht tot. Es ist nicht das Ende eines Lebens sondern eine Bewährungsprobe. Wenn wir aufhören, uns ständig nach dem Sommer zu sehnen, kann der Winter eine ganz wunderbare Jahreszeit werden, in der die Welt von sparsamer Schönheit ist.
Es ist eine Zeit zum nachdenken, zum erholen, zum Kräfte sammeln, zum aufräumen. Eigentlich ist das alles lebenswichtig. Darum sollten wir lernen, unsere Winter wieder zu zu lassen. Es liegt nicht bei uns, ob ein Winter einkehrt – aber es liegt bei uns, wie wir mit ihm umgehen.

Jeder durchlebt irgendwann einen Winter. Und bei manchen kehrt er immer wieder. Der Winter ist nicht immer an die äußeren Zeitabläufe gebunden. Symbolisch gesehen ist er in den Märchen eine Zeit des Rückzugs.
Mein Winter in diesem Jahr bittet mich, etwas umsichtiger mit meinen Energien zu haushalten und mich bis zum Frühling ein bisschen auszuruhen. Er lädt mich ein, mich gründlich auszuruhen und aufzutanken und er erlaubt mir, mich zurückzuziehen und ganz still und für mich zu sein.
Ich sehe die Natur im Winter an und lasse die Eindrücke in der Stille wirken: Die alten Blätter sind abfallen, doch haben sich die Knospen für das nächste Jahr schon gebildet und warten nur darauf, im Frühling wieder hervor brechen zu können mit all ihrer Kraft und Lebensfreude.
Tiere und Pflanzen kämpfen nicht gegen den Winter an. Sie tun nicht so, als würde es den Winter gar nicht geben. Sie versuchen nicht genauso weiter zu leben wie im Sommer. Sie bereiten sich vor. Sie passen sich an. Sie durchlaufen unglaubliche Metamorphosen um den Winter zu überstehen. Ich denke, diese Wandlung ist momentan für uns alle präsent.
Transformation – die Kernaufgabe des Winters
In den alten Mythen wird der Winter symbolisiert von Naturgottheiten. Das männliche Prinzip verkörpert ein alter weiser Mann mit Bart, Stab und Mantel und das weibliche Prinzip wird symbolisch dargestellt von einer alten weisen Frau. Beide stehen sinnbildlich für Alter und Weisheit im Winter im Zyklus des Lebensrades.
In unseren alten Volksmythen begegnet uns diese Gestalt als Frau Holle und egal welchen Namen sie bekommt, sie ist das Symbol für eine zyklische Metapher allen Lebens. Eine Metapher, in der das Leben immer wiederkehrt nachdem es sich während des Rückzugs im Winter sammeln konnte.
Doch heute sind wir es nicht mehr gewohnt, so zu denken. Wir stellen uns das Leben als eine lange lineare Wanderung von der Geburt bis zum Tod vor in der wir unsere Kräfte immer weiter aufbauen um sie schließlich am Ende doch wieder zu verlieren. Aber das Leben ist zyklisch. Genau das symbolisiert übrigens unser Adventskranz.
Dass Menschen phasenweise nicht mit dem ganz normalen Leben zurecht kommen, ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabuthema. Wir werden nicht dazu erzogen unsere persönlichen Winterperioden als solche zu erkennen, geschweige denn, ihre Notwendigkeit an zu erkennen. Stattdessen tendieren wir dazu, solche Phasen als Demütigung oder Schwäche zu betrachten, als etwas, dass wir besser vor anderen verbergen wenn wir die Welt nicht schockieren wollen. Nach außen setzen wir eine tapfere Mine auf und wenn wir allein sind, fallen wir kraftlos in uns zusammen.

Wir alle tun meist, als wäre diese Winterphase eine beschämende Anomalie, die es zu verstecken oder zu ignorieren gilt. Für Schwäche und Traurigkeit, Ängste und Sorgen ist in unserer Spassgesellschaft kein Raum. All diese Gefühle sind unerwünscht. So haben wir es geschafft, aus einem völlig normalen Vorgang ein großes Geheimnis zu machen und all jene, die einen solchen Vorgang durchleiden auszugrenzen und zu degradieren. Doch das können wir offensichtlich sehr gut.
Es bleibt den Menschen, die geschwächt sind, nichts anderes übrig, als sich aus dem täglichen Leben zurück zu ziehen um ihr vermeintliches Scheitern zu verbergen. Doch das kommt uns teuer zu stehen. Denn diese Winter – und Ruhephasen bescheren uns einige der wichtigsten und einsichtvollsten Momente überhaupt. Menschen die solche Phasen durchlebt haben, gehen gestärkt und weise aus ihnen hervor.
In unserer unablässig geschäftigen modernen Welt voller Ablenkung streben wir aber noch immer danach, jede Art von Winter zu vermeiden. Wir wagen es nicht, seine volle Gewalt zu spüren und wagen es auch nicht, anderen zu zeigen wie sehr uns ein Winter zusetzen kann. Unsere Gesellschaft strebt noch immer nach einem ewigen Sommer.
In unserer Gesellschaft ist noch immer kaum noch Raum für Stille und Genesung.
Genesen bedeutet regenerieren, stärken und erholen. Um wieder heil zu werden begeben wir uns in einen Zwischenzustand, der innehalten bedeutet. Genau das, was die Natur und die Tiere zum Winter tun. Sie halten inne und tauchen in die Stille ein. Sie überwintern und treffen dafür sorgfältige Vorbereitungen um die kalten nahrungsarmen Monate zu überstehen. Pflanzen und Tiere haben sich in ihre inneren Tiefen zurückgezogen.
Doch viele Menschen lehnen genau diese Tiefe mit all ihrer Kraft ab und bleiben lieber im Aussen hängen. Sie suchen gerade mehr denn je den Halt in den Worten und Ansichten anderer und sind dann entrüstet wenn das Außen nicht so reagiert, wie man sich selbst es erwarten und wünschen würde.
Auch darum es geht immer und gerade zu dieser Zeit der Stille in die Tiefe – in die eigene Tiefe.

Es ist das Innere, das die wahre Kraft zurück gibt.
Wir können uns nicht aussuchen, wann für uns der Winter herein bricht. Doch wir können entscheiden, wie wir damit umgehen. Das innehalten beginnt immer in uns und in der Stille. Der Advent und auch die Raunächte laden uns ein, uns auszuruhen und aufzutanken. Diese Zeit ist vor allem eine Zeit der Stille. Sie erlaubt uns, uns zurück zu ziehen und ganz still für uns zu sein.
Auch dieser Jahreswechsel bietet uns allen wieder eine Möglichkeit , dies endlich zu erkennen und den Blick mehr denn je nach innen zu richten. Es ist das Innere, das die wahre Kraft zurück gibt.
Nutzt diese Zeit um in die Stille der Natur zu gehen und euch an das Leben zu erinnern. Das Leben ist doch ein Geschenk und so mag es auch behandelt sein: wertschätzend, achtsam, respektvoll, vertrauensvoll. Und von uns allen bleibt am Ende nur das bestehen, was wir weitergeben.
In diesem Sinne wunderbare Raunächte und ein gesundes neues Jahr.
Eure Geschichtenerzählerin