Die Märchenmatrix

Märchenmatrix – Was ist das ?
Märchenmatrix ist im Sinne einer therapeutischen Arbeit mit Märchen der logische Kontext eines Märchens. Eine Matrix verwende ich zur Auswahl und Darstellung eines bestimmen Themas durch Märchen, Geschichten und Mythen. Dadurch werden die symbolischen Bilder und Metaphern bezüglich der Heilkraft von Geschichten aufgezeigt angewandt und gezielt eingesetzt.
Hierbei ist der Märchentyp entscheidend für die Auswahl des Märchens.
Nachfolgend zum besseren Verständnis eine kurze Übersicht zur Verdeutlichung:
- Tiermärchen: befreiend von Angst und Anspannung, ermutigend
- Zaubermärchen: unterstützend um Unbewusstes zu erkunden und verborgene Kraftquellen zu erschließen
- Novellen ( Kurzgeschichten ) : unterstützend bei bewusster Umsetzung bestimmter Verhaltensweisen
- Teufelsmärchen: Verdeutlichung bei Abhängigkeit und Zwängen und Reduzierung dieser
- Schwankmärchen : erkennen von Irrtümern und falschen Entscheidungen
- Kettenmärchen: fördern Gefühl der Sicherheit und ein Gespür für entsprechende Reihenfolge
- Schöpfungsmärchen : wiederherstellend insbesondere beim Verlust des inneren und äußeren Gleichgewichts
Neben dem Märchtyp sind die Märcheninhalte zu beachten.
- Welche Lebenssituation zeigt das Märchen ?
- Wer ist der Held des Märchens ?
- Was lernt der Held auf seinem Weg ?
- Worin entwickelt er sich weiter ?
- Wer ist der Gegenspieler ?
- Wie wird der Gegenspieler besiegt ?
- Wer ist ein Helfer ?
- Welche Lösung bietet das Märchen für den entstandenen Konflikt ?
Als dritten Punkt bei der Auswahl einer Geschichte ziehe neben der thematischen Zuordnung den jeweiligen Lebensabschnittes meines Klienten ein. Beispielsweise :
- Lebenskrisen ( Krankheit, Tod, Sucht, Trennungssituation )
- Ablösungsprozesse von Eltern
- Herausforderungen des jeweiligen Lebensabschnittes ( Schulprobleme, Pubertät, Alter )
Nachfolgend zur Verdeutlichung meiner Vorgehensweise ein praktisches Beispiel.
Der erste Kontakt
Eine Frau mittleren Alters wurde plötzlichen und unerwartet mit einem mentalen und körperlichen Kontrollverlust konfrontiert, der ihre Gedanken und Bewegungen blockierte. Das äußerte sich in Sprach – und Wortfindungsstörungen, Konzentrationsstörungen, Gedächtnislücken, die es ihr unmöglich machten, ihren Beruf weiterhin wie gewohnt auszuüben.
Sie begann, an ihrem Gedächtnis, an ihrem Verstand, an ihrem Körper und an schließlich sich selbst zu zweifeln. Sie hatte das Gefühl , als sei ihr Leben und Denken so verworren wie ein unübersichtliches Labyrinth.

Auswahl einer Geschichte :
Ich entschied mich für eine Geschichte, die das Bild eines Labyrinths aufnimmt und aufzeigt, wie der Protagonist herumirrt ohne (s)ein Ziel zu erreichen und darüber Verzweiflung gerät.
Ich begann, den Mythos von Ariadne zu erzählen.
Der Faden der Ariadne – Im Labyrinth des Lebens
Ariadne ist eine Frauengestalt in der Antike, die uns zeigt, sich immer im Labyrinth des Lebens zurecht zu finden. Ariadnes Faden ist unter dem Aspekt der Märchenmatrix ein Mythos mit der thematischen Zuordnung „Lebenskrise – Umgang mit einer Krankheit “.

Ihrem Geliebten half sie in einer schwierigen Situation mit einem klugen Rat, bei dem sie ihm ein Faden gab, der ihm den Weg durch ein unübersichtliches Labyrinth wies. Die ausführliche Geschichte ist am Ende dieses Beitrags nachzulesen.
Warum habe ich diesen Mythos ausgewählt ?
Ausgangslage:
Eine Frau mittleren Alters wurde durch ein unvorhergesehenes Ereignis aus dem inneren und äußeren Gleichgewicht gebracht. Die Selbstzweifel stiegen während das Selbstbewusstsein sank.
Ansatz :
- Die Beeinträchtigung des inneren Gleichgewichts wiederherstellen
- Heilprozesse anregen : Heilung ist auch ein innerer Vorgang. Unter Heilung kann man eine innere Sicherheit und Ausgeglichenheit verstehen und dies als Glück bezeichnen.
- Anleitung, die objektive Geschichte Ariadnes in eine subjektive Geschichte umzuwandeln (von der äußeren Welt in die innere Welt)
Ziel :
- Strategien zur Bewältigung der eigenen Krisensituation finden
- durch Achtsamkeit das eigene innere Kraftzentrum spüren und nutzen
- Aktivierung der Selbstheilungskräfte
Vielleicht zum besseren Verständnis eine kurze Erläuterung betreffend der Selbstheilungskräfte:
Jeder Ort und jede Situation kann verlassen oder verändert werden. Können wir uns das nicht vorstellen, tut es das Märchen/ eine Geschichte für uns. Es zeigt eine andere Perspektive auf und eröffnet eine neue Welt. In Geschichten müssen an jedem Ort andere Aufgaben bewältigt werden. Es findet eine Konfrontation mit feindseligen Kräften statt. Genau das erfahren wir ebenfalls im Lauf eines Selbstheilungsprozesses.

Ziel ist es dabei nicht: unangenehme Schauplätze so schnell wie möglich zu verlassen, sondern die Irrwege, Fallen und Möglichkeiten, die darin verborgen sind, kennen zu lernen. Das lässt uns neue Lebenswege finden und neue Dinge erkennen, die neu das erleben verändern wie das Beispiel eines Labyrinths symbolisch sehr schön zeigt.
Bei Ariadne war es zunächst der eigene Entschluss, mit dem Geliebten in eine unbekannte Umgebung aufzubrechen. Wenig später musste sie sich einen anderen Weg suchen voller Trauer über den vermeintlichen Verrat ihres Geliebten und dessen Verlust. Hier wirkte auch das Schicksal oder der Zufall mit durch den Willen der Götter. Dies weist eine Parallele zu der Situation der Dozentin auf, in der eine gewisse Ohnmacht gegenüber den äußeren Umständen auftritt. Doch trotz all der verwirrenden Umstände suchte Ariadne immer nach einer Möglichkeit, um glücklich zu leben und ihren eigenen Lebensweg zu finden. Sie suchte ihr Glück im Sinne von Harmonie und nutzte dazu die Möglichkeiten, die das Leben ihr bot.
Ariadne hatte außerdem den Mut, sich dem Minotaurus zu stellen. Der Minotaurus ist die Personifikation aller Sorgen und Ängste, die uns im Leben plagen können. Er kann im Labyrinth des Lebens hinter jeder Ecke lauern. Es hilft nichts, vor ihm davon zu laufen – ihm entkommt man nicht. Dahin wo die Angst ist, führt der Weg. Und eben dies ist der Grund, warum ich diese Geschichte auswählte.
Ariadnes Weg voller Kummer und Enttäuschung lies sie einen neuen Blick auf die Welt und auf ihr Leben bekommen, weil sie sich ihrer Angst stellte und ihre Schwierigkeiten hinter sich lies. Sie fand einen Weg aus ihrem Lebenslabyrinth in das Glück und damit wird sie zum eigentlichen Helden in diesem Mythos: sie meisterte eine schwierige Lebenssituation, entwickelte sich dabei weiter und fand ihr Glück, in dem sie das Leben so annahm, wie es sich ihr zeigte
Nachbearbeitung :
Das gemeinsame Reflektieren über eine Geschichte heißt auch, im Gespräch herauszufinden:
- Was bedeutet diese Geschichte für meinen Gesprächspartner und
wie sieht er / sie diese Geschichte ?

Darum ging ich im nachfolgenden Gespräch vorallem auf die Symbolik eines Labyrinths ein und auf dessen mögliche Interpretation im Zusammenhang mit der momentanen Situation meiner Gesprächspartnerin. Es ist nötig sich, so wie Ariadne, einer Krise zu stellen, sie anzunehmen und sich dabei selbst zu betrachten und neu kennenzulernen. Eben dies geschieht im Labyrinth des Lebens. Ein Labyrinth ist kein Irrgarten und oft werden die beiden miteinander verwechselt.
Die Interpretation anhand der symbolische Bedeutung
Der Irrgarten hat viele Sackgassen, das Labyrinth hat jedoch nur einen einzigen Weg und verläuft nicht gradlinig: es hat Wendungen und Kehrtwendungen. Jede Wendung hilft uns, unsere Lebenssituation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und zu erfühlen. Oft verlieren wir auf dem langen Weg die Mitte aus den Augen, das eigentliche Ziel ist nicht mehr sichtbar. Und dennoch kommen wir Schritt für Schritt der Mitte näher!

Die Mitte
Die Mitte des Labyrinths ist hier symbolisch zu sehen für einen Ort der Selbsterkenntnis.
Die Mitte hat eine starke Kraft. Sie gilt es zu erspüren. Der Rückweg hilft uns dabei, diese Erkenntnisse in unseren Alltag zu tragen und umzusetzen.
Das Labyrinth lehrt uns eine andere Sicht. Ähnelt unser Leben einem Labyrinth, sollen wir eine andere Sicht kennen lernen. Wir werden durch die Wege und Umwege des eigenen Lebens-Labyrinthes erfahren, was es bedeutet, in der Mitte anzukommen. Das Labyrinth dient als Instrument, sich selber näher zu kommen und mehr über sich zu erfahren. Wenn ich hineingehe, kann ich mir nicht ausweichen. Ich erkenne die Umwege, die Wendungen in meinem Leben: Krankheit, Krisen, Zweifel bekommen einen neuen Sinn. Und trotz aller Umwege komme ich an das Ziel und spüre: Nur ich kann meinen Weg finden und gehen Ein Labyrinth konfrontiert uns mit folgenden Fragen :
- Worin sehe ich das Ziel meines Lebens ?
- Ist mein Weg dorthin verlässlich?
- Wie gehe ich mit der Erfahrung um, an Grenzen zu stoßen?
- Kann ich in Rückschritten notwendige Schritte zum Ziel verstehen?
- Wo liegt mein Zentrum und mein innerer Kraftort?
- Wo befinde ich mich gerade ?
- Wann bin ich am Ziel angekommen ?
Und hier geht es zum Mythos von Ariadnes Faden für all diejenigen, die nun neugierig auf die Geschichte sind.