Der Faden der Ariadne

Alles begann mit einem weißen Stier, den der König von Kreta eigentlich opfern sollte. Doch dieser war ihm aber zu schade, um geopfert zu werden. So zog sich Minos den Zorn der Götter zu. Seine Frau Pasiphaë musste den Preis zahlen für seine Gier.

Die Königin entbrannte durch das Wirken der Götter plötzlich in starker Liebe zu diesem Stier im Stall des Minos. Pasiphaë wollte sich mit dem geliebten Stier vereinigen. Dazu beauftragte die Königin den erfinderischen Dädalus, ihr eine „hölzerne Kuh“ zu konstruieren. Darin verbarg sich Pasiphaë, um von dem Stier bestiegen zu werden. Sie wurde schwanger und der wurde schließlich Minotaurus geboren. Er hatte den Körper eines Mannes und den Kopf eines Stiers. Er war wild und blutrünstig. Um seine Schande durch die Geburt dieses „Bastards“ zu verstecken, ließ Minos das mächtige unterirdische Labyrinth bauen, in welchem der Minotaurus weggesperrt wurde. 

Der König nutzte seinen verunstalteten und blutrünstigen Sohn, um die Athener Bevölkerung zu minimieren. Minos hat als Kriegsbeute verfügt, dass man ihm jedes Jahr sieben junge Männer und sieben Mädchen schickt, um sie dem Minotaurus im Labyrinth zum Fraß vorzuwerfen.Unter diesen Männern war eines Tages ein junger Held, der sich erhob, weil er diese Ungerechtigkeit des Minos nicht mehr hinnehmen wollte. Sein Name war Theseus. Er war einer der jungen Männer, die geopfert werden sollten. Der Plan des Helden war es allerdings, den Minotaurus zu töten und sein Volk zu befreien.

Am Hof des König Minos kam es zu einer schicksalhaften Begegnung des jungen Helden mit Ariadne, der Tochter des despotischen Herrschers von Kreta. Ariadne verliebte sich und wollte ihrem Liebsten helfen. Sie wusste nämlich, dass das Labyrinth so verworren war, dass niemand herausfinden konnte. Selbst wenn Theseus den Minotaurus töten  könne, so würde er sich doch auf dem Rückweg verlaufen.

Damit dies nicht geschah, gab Ariadne Theseus den berühmten Ariadnefaden mit in das unterirdische Labyrinth. So schaffte es der junge Athener, sicher aus dem Labyrinth herauszufinden. 

Eigentlich hatte Theseus der schönen kretischen Prinzessin versprochen, sie für ihre Hilfe im Labyrinth mit zurück nach Athen zu nehmen und sie dort zu heiraten. Man möchte meinen, es gibt an dieser Stelle ein Happy End. Doch dem ist leider nicht so.
Oder vielleicht doch – nur auf andere Weise als erwartet. 

Auf der Heimreise kam das junge Paar an einen Insel vorbei.  Dort machten sie eine Rast und Ariadne schlief ein. Als sie jedoch wieder aufwachte, war Theseus nicht mehr da. Ohne sie war er einfach alleine gen Athen weitergesegelt. Der Wunsch der Götter und ihr Schicksal sahen vor, dass Dianysos ihr  Gemahl werden sollte. Der unbezähmbare Gott von Wein, Weib, Sex, Gesang und Ektase. Ariadne war natürlich nach dem Erwachen am Boden zerstört, als sie sah, das ihr Geliebter sie verlassen hatte. Als Dionysos Ariadne erblickte, verliebte sich in sie. Sie feierten ein rauschendes Hochzeitsfest. Ariadne vermochte es, das aufbrausende Wesen des Gottes zu zähmen. Sie besänftigte den unbezähmbaren Dionysos durch die Liebe.

Hier ähnelt der Mythos dem Märchen von der Schönen und dem Biest in unserer Kultur. Es ist wohl klar, wer hier welche Rolle einnimmt. 

Ariadne und Dionysus bekamen fünf Kinder und hatten ein Leben lang eine enge Bindung zueinander und sie war immer an seiner Seite. Dennoch war Ariadne eine  Sterbliche. Nach ihrem Tod holte Dionysos Ariadne nach aus der Unterwelt zu sich auf den Olymp und sie wurde in Kreta als Fruchtbarkeitsgöttin verehrt.

Ariadne hatte den Mut, sich dem Minotaurus zu stellen und fand  ihren Weg in das Glück – auch wenn sie dabei Theseus, ihre erste Liebe, nie vergaß. Ariadne blieb trotz ihrer Verbindung mit Dionysos weiterhin auch Theseus verbunden und beweinte seinen Tod bitterlich. 

Dieser griechische Mythos ist voller Symbolik. Schauen wir zunächst auf die Symbolik des Fadens in der Kulturgeschichte.

Die Symbolik des Fadens

In vorchristlichen und vorislamischen Religionssystemen stand der Faden kulturübergreifend für das Schicksal. Verkörpert wird dieses Schicksal von drei Schicksalsgöttinnen. In griechischen Mythologie wurden sie Moiren genannt und Nornen in der nordische Mythologie. Ihre Entsprechung in der römischen Mythologie sind die Parzen.

Diese Schicksalsgöttinnen werden immer dargestellt als alte Frauen und sie finden bis heute als Archetyp in den Märchen noch immer Erwähnung. Sie webten das Schicksal der Menschen, indem sie den Faden für jedes Leben spannen, ausmaßen und bei der vorherbestimmten Länge abschnitten. Die erste webt den Faden, die zweite bemisst ihn und die dritte schneidet den Lebensfaden ab.

Noch heute spricht man davon, dass das Leben an einem seidenen Faden hängt oder der Lebensfaden wurde durchgeschnitten.

Die schicksalshafte Bedeutung des Fadens führte auch zu mannigfaltigem Aberglauben. 

So war es an den Gedenktagen bestimmter Heiliger verboten, zu nähen. In einigen mitteleuropäischen Regionen durfte man kein Kleidungsstück ausbessern, das der Träger noch am Körper trug, um nicht mit dem Abschneiden des Fadens Unglück über ihn zu bringen.

Die Verwendung des Fadens im übertragenenen Sinn 

Den Faden verlieren bedeutet in unserem heutigen Sprachgebrauch im übertragenen Sinne, dass jemand eine Argumentationskette nicht zu Ende führen kann oder sich nicht mehr erinnert, was zuletzt gesagt wurde. Verliert man den Faden, bedeutet das vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen. Daraus ergab sich wiederum der Gegensatz: Den Faden wieder finden, was soviel bedeutet wie sich beim Sprechen wieder daran zu erinnern, was man sagen wollte oder den gedanklichen Zusammenhang wiederfinden. 

Bekannt ist diese Redewendung den Faden verlieren durch all die Jahrtausende durch den hier geschilderten Mythos. Hier bezieht sich diese Redewendung des Ariadnefadens, der Theseus den Weg durch das Labyrinth des Minotauros wies, auch als Hilfsmittel, um sich aus einer schwierigen Lage zu befreien. Verliert man ihn, verliert man auch die Orientierung.

Unter einem roten Faden versteht man in diesem Zusammenhang ein Grundmotiv, einen Weg oder auch eine Richtlinie. „Etwas zieht sich wie ein roter Faden durch etwas“ bedeutet beispielsweise auch, dass man darin eine durchgehende Struktur oder ein Ziel erkennen kann.

Der Mythos von Ariadne ist aus symbolischer Sicht auch im Zusammenhang mit dem Labyrinth sehr interessant. 

Mehr Hintergründe dazu gibt es unter folgendem Link :