Geflügelte Worte – Die Büchse der Pandora

Noch heute ist unsere Umgangssprache voller Redewendungen aus der Antike. Fast täglich nutzen wir solche Formulierungen, ohne es zu merken. Wenn man sich mit den Redewendungen näher beschäftigt, wird man unweigerlich in andere Zeiten und Kulturkreise versetzt. Unsere Sprache ist voller Redensarten, die ihre Wurzeln in Religion, Mythologie und Märchen haben. 

Das geht auf keine Kuhhaut oder Das ist eine Sisyphusarbeit zeugt von den Spuren, welche  die klassische Antike in unserer Sprache hinterlassen hat. Es gibt noch eine ganze Reihe von Wörtern und Redewendungen, die ihren Weg aus der Antike in unseren alltäglichen Wortschatz gefunden haben. In Morpheus Arme sinken oder Sich die Lorbeeren verdienen oder andere Ausdrücke wie die berühmte Achilles-Ferse und der Ödipus komplex sind uns nur allzu bekannt. Wer fürchtet nicht den Trojaner auf der Festplatte oder kennt Aussprüche wie Das geht auf keine Kuhhaut, Eulen nach Athen tragen, Ich verliere den Faden, Geh mir aus der Sonne, Lasst uns eine Orgie feiern, Zustände wie im alten Rom. 

All dies zeugt in unserer Gegenwart von der antiken Mythologie – auch wenn sich die ursprüngliche Bedeutung im Lauf der Zeit verlor. Redewendungen sterben aus wenn sie nicht mehr benutzt werden. Darum lohnt es sich, einige von ihnen näher anzuschauen. Aus aktuellem Anlass bezüglich der Pandemie möchte ich heute die Die Büchse der Pandora auswählen. 

Der Mythos von der Büchse der Pandora

Im goldenen Zeitalter lebten die Götter in einer unbeschwerten Zeit. Doch diese Idylle weckte die Langeweile des Göttervaters Zeus und so wies er Prometheus an, die Menschen zu schaffen. Zeus sah in ihnen ein interessantes Spielzeug zu seinem Zeitvertreib. Der junge Titan Prometheus schuf darum nach dem Ebenbild der Götter die Menschen aus dem Lehm der Erde – zunächst nur Männer denn Zeus hatte von der Streitsucht der Göttinnen genug und befahl Prometheus, nur eingeschlechtliche Wesen zu formen. Prometheus war darüber betrübt. Nach seinem Geschmack fehlte etwas Würze für diese Schöpfung. Und vor allem fehlte ihr das Feuer. Heißes, wildes, glühendes, loderndes Feuer, dass den Menschen erlauben würde, zu schmelzen, zu rüsten, zu braten, zu kochen, zu grillen, zu formen und zu schmieden. Und vor allem bräuchten sie auch ein inneres kreatives Feuer. Ein göttliches Feuer damit sie denken konnten. Je länger Prometheus seine Schöpfung beobachtete und sich unter den Menschen bewegte, desto überzeugter war er, dass den Menschen das Feuer fehlte. Und er wusste, wo man es finden konnte. Er kletterte auf den Olymp und stahl den Göttern das Feuer. Dies erzürnte den Göttervater Zeus so sehr, dass er beschloss, Prometheus und die Menschen zu bestrafen. Der den Menschen so wohl gesonnen Titan musste schrecklich leiden. Prometheus wurde an einen Felsen im Kaukasus angekettet und tagtäglich heimgesucht von einem Adler, der ihm seine sich stets wieder erneuernde Leber auffrass.
Auch das Menschengeschlecht sollte bestraft werden. Zeus beauftragte seinen Sohn Hephaistos das zu tun, was auch Prometheus gerne getan hätte: er sollte aus Lehm eine Figur schaffen. Diesmal allerdings eine weibliche Person. Hephaistos nahm sich die schönsten Göttinnen als Vorbild und formte liebevoll ein Mädchen von so großer Schönheit, dass Aphrodite – die Göttin der Liebe –  ihm Leben und sämtliche Formen der Liebe einhauchte. Auch die anderen Götter kamen hinzu um das Mädchen einzigartig auszustatten.
Athene brachte ihr die häuslichen Fertigkeiten wie sticken und weben bei und gab ihr ein wunderbares Gewand.  
Hera schenkte ihr Gelassenheit und Selbstbeherrschung.
Hermes schulte sie in Rhetorik und in den Künsten der Täuschung.  Er gab ihr Neugierde und Gerissenheit als Geschenk. Und er gab ihr einen Namen. Weil jeder der Götter diesem Mädchen etwas geschenkt hatte, sollte sie die „All begabte „ heißen – auf Griechisch Pandora. 

Pandora ist ein sehr scharfsinniger Name. Er kann die „ Alles – Gebende“  wie auch die „Alles – Empfangende „  bedeuten..

Hephaistos machte dieser einzigartigen Erscheinung ein letztes Geschenk, das Zeus persönlich überbrachte. Es war ein Behältnis das mit… Geheimnissen gefüllt war. Zeus übergab Pandora das Geschenk mit der Anweisung, dieses Gefäß niemals zu öffnen.

Heute sagt man zwar die Büchse, doch dies ist die Folge eines Übersetzungsfehlers. In Wahrheit war es ein versiegeltes Vorratsgefäß aus Steingut, dass die Griechen  pithos nennen. 

Pandora wurde von Hermes auf die Erde zu einem kleinen Steinhaus geführt, in dem Prometheus’ Bruder – Epimetheus – lebte. Prometheus befand sich auf Reisen um den Menschen in den Dörfern und Städten zu zeigen,  wie man das Feuer nutzt. Er hat es seinen Bruder gewarnt  auf keinen Fall ein Geschenk der Götter anzunehmen. Der Name Prometheus bedeutet Weitsicht. Epimetheus bedeutet hingegen soviel wie “ das Nachsehen haben “. Während der ältere Bruder Prometheus erst überlegte und dann handelte, war es bei seinem jüngerem Bruder Epimetheus umgekehrt: Er handelte erst und dachte anschließend nach.

So nahm er gleich die schöne Pandora zu seiner Frau bevor Prometheus von seiner Reise zurück kam. Epimetheus und Pandora waren sehr verliebt. Pandoras Schönheit begeisterte ihn Tag für Tag und er gab ihr im Gegenzug das Gefühl, nur im Augenblick zu leben und sich um nichts sorgen zu müssen. So widerstand Pandora lange ihrer Neugier, das Gefäß zu öffnen.

Aber sie war schließlich eine Frau – noch dazu die allererste Frau auf dieser Erde : die Neugier war schließlich stärker und siegte. Pandora brach das Wachssiegel der Amphore auf und plötzlich surrte und sirrte es um ihre Ohren. Grauenhafte Kreaturen wirbelten heraus und verteilen sich wie ein Heuschreckenschwarm in der Luft, über das Land und rund um die Welt. Überall dort wo die Menschen eine Behausung hatten. Es waren dunkle und böse Wesen, die sich auf der Erde verbreiteten : Zwietracht – Eris, Mühsal – Ponos , Hunger – Limos, Schmerz – Algea , Gesetzlosigkeit – Dysnomia , Lüge – Pseudea, Neid – Neikea und viele andere mehr.  Pandora nahm all ihre Kraft und ihren ganzen Mut zusammen um die Amphore wieder zu verschließen. Doch Alter, Krankheiten, Tod, Lüge, Krieg, und Verrat waren angekommen, breiteten sich aus und würden die Erde nie wieder verlassen. All dies kannten die Menschen bis dahin nicht. Zeus hatte seine Rache bekommen und das goldene Zeitalter fand ein schreckliches Ende. Tod, Krankheit waren nun auf ewig untrennbar mit dem menschlichen Dasein verbunden.

Aus diesem Mythos entstand also die Redewendung
“Die Büchse der Pandora öffnen” . Damit will man ausdrücken, dass jemand Unheil oder Schaden anrichtet. Wenn also heute jemand im übertragenen Sinne die Büchse der Pandora öffnet, stiftet er Unruhe und verbreitet ein Übel, welches er nicht wieder gutmachen kann.

Doch als Pandora den Deckel des Gefäßes verschloss, ließ sie darin ein einziges Geschöpf zurück. Sein Name war Hoffnung – Elpis
Und damit endet der Mythos –
oder fängt hier vielmehr die Geschichte unserer Zeit an ?
Das Motiv des Gefäßes, dass alle Übel enthält, hat sich in der Neuzeit zunehmend verselbständigt und wurde zu einem beliebten Symbol für Unheilbringendes. Könnte das Coronavirus SARS – CoV-2 der Büchse der Pandora entwichen sein um in der Welt Leid und Kummer zu verursachen. Blieb oder bleibt zugleich die Hoffnung in der Büchse zurück ? Was nun in Pandoras Büchse zurück blieb, darüber wurde zu allen Zeiten unter Gelehrten und Philosophen viel debattiert.

Bedeute dies nun, dass die Hoffnung vor dem Verloren gehen geschützt wurde und dadurch für die Menschheit bewahrt wird ?
Oder ist Hoffnung sogar negativ – weil wir uns mit ihr einer Illusion hingeben, die keine  weitreichende und tief schürfende Veränderung herbei führen wird. Der Pandora-Mythos lässt uns im Unklaren, ob Hoffnung schrecklich oder gut sein mag. Philosophieren wir ein wenig darüber  – es lohnt sich in vielerlei Hinsicht, darüber nachzudenken.  Hoffnung – von den Griechen Elpis genannt – ist die Vorstellung, dass sich eine schlechte Situation in Zukunft verbessern wird. Manchmal tritt das tatsächlich ein, manchmal aber auch nicht. 

Was wird sich zukünftig ändern nach dem Lockdown ?

Allmählich erfolgt eine allmähliche Rückkehr in den Alltag und der shutdown birgt für viele die Hoffnung, das bald ein Impfstoff gefunden werden wird und damit die Pandemie endlich gemeistert wird.
Die Corona-Krise bringt neue Wörter in die Alltagssprache – bringt sie aber auch neue Verhaltens- und Handlungsweisen ? Ich bezweifle es. 

Auch Nietzsche sah im Mythos der Panora die Hoffnung als komplett negativ an. Für ihn war die Hoffnung die schlimmste aller Plagen in der Büchse, der Pandora weil die Hoffnung das Leiden nur verlängert. Hoffnung quält die Menschen mit falschen Versprechungen von einer besseren Zukunft. Er erklärte, dass die Hoffnung selbst ein Übel sei. “Hoffnung ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert“ , so Friedrich Nietzsche. Hoffnungsvoll oder hoffnungslos. Das muss jeder von uns für sich selbst entscheiden.

Ein Mythos beginnt mit dem Anfang, hört aber nicht mit dem Ende auf.

Ich möchte zum Schluß noch einmal Prometheus aufgreife. Sie wissen schon : der Titan, der den Menschen das Feuer brachte und damit die Strafe der Götter auf sich und die Menschheit zog. Sein Name bedeutete Weitsicht. Weitsicht hat weitreichende Konsequenzen. 
Einst schenkte Prometheus uns Menschen das Feuer und vielleicht war er damit auch der wirkliche Vater unserer Zivilisation. Er schenkte uns das kreative Feuer und gab uns zugleich auch die kulturelle Weitsicht um die wilderen Formen des Feuers zu unterdrücken und sich das Element untertan zu machen. Prometheus gab uns mit diesen Geschenken auch die Fähigkeit zu Weitsicht, zu Voraussicht und damit der Möglichkeit, nicht nur aus Impulsen heraus zu handeln.  Die Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit von Prometheus ist bemerkenswert.  Was  aber fangen wir mit seinem Geschenk an ?