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Lockdown – Zeit eines Ausnahmezustandes

Corona war Anfang März noch ein Fremdwort für mich ohne jeglichen persönlichen Bezug. Zunächst war da noch die Distanz und der Gedanke: ich glaube nicht, dass ich als Künstler davon betroffen bin.
Ich agiere ja per se nur im kleinen Kreis. Diese Sicherheitsvorschriften betreffen wahrscheinlich nur die Großveranstaltungen . Doch schon zwei Wochen später war die Gewissheit da: Wir sind alle betroffen. Auch die Künstler, die in einem kleinen Rahmen arbeiten.  Die Buchungen und Termine wurden abgesagt 
… zunächst für die kommenden Wochen…
Noch immer hatte ich da die Hoffnung, das dies vielleicht nur einen kurzen und überschaubaren Zeitraum betrifft. Doch schon bald folgten die Schließungen von öffentlichen Einrichtungen. Damit brachen auch all diese Aufträge weg. 
… Ein wenig später wurden auch die Engagements für Großveranstaltungen abgesagt bis in den September und den Oktober und 
… plötzlich lag meine ganze Arbeit brach . 

Wie lange würde dieser Dornröschenschlaf dauern ? Alles war ungewiss. Über mögliche Hilfen wurde erst einmal diskutiert … sicher war nur: es gab keinerlei Aufträge und keine Prognose, wie lange diese Situation anhalten würde. 
Wie geht man als Freiberufler mit solch einer Situation um? Noch dazu als Erzähler, der ältesten Kunstformen überhaupt… Erzählen braucht nichts weiter als einen Erzähler, einen Zuhörer und eine gute Geschichte. Vielleicht auch noch ein Instrument.  Jedoch keinerlei  Technik.

Das Erzählen ist unmittelbar und lebt aus dem Augenblick heraus und von dessen Atmosphäre. Es ist eine Interaktion mit dem Publikum und dessen Reaktionen. Was macht aber eine Erzählerin, wenn sie keine Zuhörer mehr hat ? Im Internet erzählen ? Ich dachte darüber nach, wie ich eine uralte minimalistische Kunstform in solch ein modernes Medium transferieren könnte und versuchte es also digital.

Doch das Erzählen mit technischen Mitteln darzustellen war eine ganz andere Form – eine völlig andere Kunstart, in der es keine Interaktion gibt, kein Miteinander, sondern nur einen Monolog. Es fehlten sämtliche Reaktionen und das Auge einer Kamera erschien mir vollkommen steril und leblos. Lebendiges Erzählen fühlte sich ganz anders an.

Mein nächstes Problem waren die Zielgruppen. Ich erzähle für Erwachsene und für Kinder. Mitunter auch für Kinder, welche die Sprache noch gar nicht beherrschen. Wie erreiche ich nun die jeweilige Zielgruppe überhaupt ? Ich dachte immer noch nach ….viele Tage … und der erste Ansatz entstand : Die Geschichten müssen auf jeden Fall kurz gehalten sein, denn die Aufmerksamkeit ist über dieses Medium sehr gering.

3 Minuten Geschichten wären also gut. 
Aber was kann man in 3 Minuten überhaupt erzählen ? 
Und wie erreiche ich dabei gerade die kleinen Kinder, die der Sprache noch nicht mächtig sind ?  
Ich beschloss, neben kurzen Geschichten für das digitale Medium meine Handpuppen einzusetzen, die ich meist nur in Kinderkrippen für die ganz Kleinen beim Live Erzählen verwendete. So entstand gleich die nächste Rubrik : Die Quasselbande.

Zunächst waren diese Geschichten mit der Quasselbande nur für die Kinder gedacht, doch bald entstand daraus ein ganz eigener Gedanke :  Die Coronedyshow – ein Familienprogramm für jung und alt. Hier sollten aktuelle Themen wie Ausgangssperre, Mundschutz Pflicht, Mindestabstand, Systemrelevantes Arbeiten, Schulschließungen … mit den Handpuppen auf humorvolle Art  dargestellt, thematisiert und auch in ihrer Notwendigkeit verständlich gemacht werden. Einem ernsten Thema setze ich bei allem Respekt gerne auch Humor entgegen. 

So tat ich die ersten Schritte und merkte bald : Das digitale Erzählen ohne direkte Interaktion mit den Zuhörern ist ziemlich schwierig und für mich fühlte es sich an wie ein völlig verzerrtes Abbild des live Erzählens.  Dazu kam noch die ernüchternde Erfahrung: man kann nicht ” einfach so” nur Videos ins Netz stellen. Das ist eine eigene Kunstform für sich und die hat ihre Gesetzmäßigkeiten. Sehr bald erkannten ich : Jeder kann eine Story in den sozialen Medien erstellen, aber das Geschichtenerzähler dort erforderte offensichtlich einen anderen Ansatz. 

Die Technik mit diesem neuen Medium war und ist ungewöhnlich weil sie mit einfachsten Mitteln stattfinden muss und improvisiert ist. Beispielsweise sind vier oder fünf Handpuppen zu sehen. Ich habe aber nur zwei Arme… Also musste mir mein Mann einspringen und mir seine Arme für die Dreharbeiten “ausleihen” . Statt einer Bühnenkulisse kam eine Decke über ein Bügelbrett und wir liegen schräg auf dem Rücken darunter damit wir in der Kameraeinstellung nicht zu sehen sind. Die Sprachen der verschiedenen Charaktere so schnell zu wechseln, war auch nicht so leicht und es kam zwar oftmals zu lustigen Szene – etwa wenn Maus mit der tiefen Stimme des Esels spricht – doch andererseits bedeutete das auch, die Szene noch einmal aufzunehmen.
Was als ein 3 Minuten Film im Netz zu sehen ist, beinhaltete oft einen Tag Vorbereitung für Idee und Script, mehrere Stunden filmen bei der Durchführung und einen Tag Nachbereitung beim Schneiden des Videos. 

Allmählich entstanden in den Wochen vor dem sterilen Auge der Kamera lustige, nachdenkliche, spannende und lehrreiche Geschichten für alle Altersgruppen und mein You Tube Kanal füllte sich ebenso wie mein Erfahrungsschatz. Es entstanden sogar mehrere Rubriken: 3 Minuten Geschichten für Erwachsene, der Kinderkanal, die Coronedyshow für die ganze Familie und später sogar noch Videos, auf denen ich meine Workshopinhalte weitergebe und erkläre, wie man frei Erzählen kann.

Die Augsburger Allgemeine berichtete darüber am 23. April 2020 : https://www.augsburger-allgemeine.de/neuburg/Wie-eine-Erzaehlerin-aus-dem-Landkreis-Geschichten-online-erzaehlt-id57273936.html

Die Süddeutsche Zeitung berichtete ebenfalls in diesem Zusammenhang am 07. Juni 2020

https://www.sueddeutsche.de/bayern/ingolstadt-corona-kultur-videos-1.4929341?fbclid=IwAR1f0imgZ6xc_BQmaMhkIkHKmlduj_S3Kz_n1KyHB84Tvdx3SQuLUdFg5QI

Und dennoch merke ich trotz des wachsenden You Tube Kanals sowohl als Künstler als auch als Kunstgenießer, das die Online Formate für mich unbefriedigend sind und die Kleinkunst aus dem Augenblick heraus lebt. Ich hoffe, das es für die Zeit nach dem Lockdown eine neue Bewusstheit und Wertschätzung geben wird, was im täglichen Leben ohne Kultur und ihre Künstler an Lebensqualität und Bereicherung verloren geht …

04. Juni 2020